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Mario Batkovic ⎪ «Get Going!» 2022

«Get Going!»-Porträtserie 2022

Mario Batkovic ⎪ Photo by ⓒRob Lewis


Mario Batkovic gehört zu den virtuosesten und international bekanntesten Schweizer Komponisten und Musiker. Der Berner Akkordeonist ist an zahlreichen Projekten beteiligt, baut innovative Instrumente und experimentiert unentwegt im Spannungsfeld von Pop, Rock und zeitgenössischer Musik. Um neue Klangräume zu erkunden und zu erschaffen, sind unentwegtes Forschen, Entwickeln, Komponieren und Ausprobieren zentral für seine Arbeit. Dank des «Get Going!»-Beitrages erhält Mario Batkovic nun einen der wichtigsten Faktoren für die Kreativität geschenkt: Zeit!

www.batkovic.com

Seit 2018 existiert «Get Going!» als Förderangebot der FONDATION SUISA. Mit dieser neuen Form eines Werkbeitrages werden kreative und künstlerische Prozesse finanziell angestossen, die sich ausserhalb der gängigen Kategorien befinden. Im monatlichen Rhythmus stellen wir die acht Empfängerinnen und Empfänger der «Get Going!»-Vergabe 2022 einzeln vor.

Hasan Nakhleh: Globale Grooves – für mehr Toleranz 

«Get Going!»-Porträtserie 2022

Hasan Nakhleh by © Hasan Nakhleh

Der Berner Hasan Nakhleh arbeitet mit Bruder Rami im Duo TootArd an einer Symbiose zwischen globaler Tanzmusik und arabischem Kulturerbe. Dank dem «Get Going!»-Beitrag findet er nun die Zeit und den Raum, sich dieser Balance zwischen Ost und West noch detaillierter anzunehmen.

Im Gespräch schwärmt Hasan Nakhleh immer wieder von Bern. Von ihrer Schönheit und von der Ruhe, die er hier gefunden hat. Nakhleh lebt seit 2014 in der Bundesstadt, die Liebe hat ihn in die Schweiz geführt. Seit 2021 besitzt er den Schweizer Pass. Das ist nicht unerheblich für einen, der in den Golanhöhen aufgewachsen ist. Die arabische Bevölkerung ist im von Israel annektierten Gebiet de facto staatenlos. «Golan», so Nakhleh, «ist eine Heimat, die keine ist und Bern wiederum ist ein Ort, der fernab meiner eigenen Heimat ist.»

Aus diesem Spannungsfeld heraus schöpft der 35-Jährige die Kreativität für seine Musik. Gemeinsam mit Bruder Rami musiziert er seit seiner Kindheit. Als sie dann eine Band gründeten, mit der sie in den örtlichen Clubs auftraten, nannten sie sich TootArd. Hasan lacht, weil der Name auf deutsch «Erdbeere» bedeutet. «Wir wollten nicht in den Verdacht geraten, dass wir in unseren Texten politische Botschaften verbreiten. Erdbeere erschien uns als Name harmlos genug.»

Drei Alben hat das Duo bereits veröffentlicht. Ihr zweites Werk nannten sie «Laisser passer» – so heisst das Schriftstück, das sie anstelle eines Passes erhielten. «Damit durften wir die Golanhöhen verlassen, aber wenn wir ins Ausland reisen wollten, zog dies stets mühsame Visa-Beantragungen nach sich.»

Als Schweizer kann er nun ohne Mühe reisen, wohin er will. Während Hasan die Ruhe Berns für seine Arbeit schätzt, ist Bruder Rami in seinem Heimatdorf geblieben. «Das hindert uns nicht an der Zusammenarbeit», erklärt er. Während Rami für die Beats zuständig ist, sorgt Hasan für den Rest – einschliesslich des Gesangs. Und wie «Migrant Birds», der Titel des letzten Albums andeutet, wollen sie ihre ansteckende Tanzmusik mit den hypnotischen Beats, den arabisch und orientalisch gefärbten Melodien und den poetisch angehauchten sozialkritischen Texten wie Zugvögel auf der Welt verbreiten.

«Was wir auf unserem letzten Album begonnen haben, möchte ich nun perfektionieren», erklärt er und meint damit eine globale Tanzmusik zu schaffen, die überall verstanden wird, die aber gleichzeitig die Herkunft nicht leugnet. Dank des «Get Going!»-Beitrages hat er nun unter anderem die Zeit seine analogen und digitalen Synthesizer neu zu tunen, damit er damit Vierteltöne spielen kann. «Diese Vierteltöne sind fester Bestandteil des arabischen Tonsystems. Aber sie sind auf Tasteninstrumenten nicht spielbar. Ich verwende deshalb Stimmboxen, die via «Midi» mit den Instrumenten kommunizieren. So lässt sich die Stimmung auf den Keyboards verändern.» Als Komponist wiederum sei die Herausforderung, die richtige Balance zu finden zwischen Ost und West, zwischen seiner kulturellen Heimat und der Welt, in der er nun lebt und arbeitet.

Hasan Nakhleh schildert die Erlebnisse, die er und sein Bruder an den Konzerten immer wieder erleben, egal ob in der Schweiz, in London, Toronto, Tokio oder Kairo. «Bei unseren Auftritten kommen Menschen verschiedenster Herkunft zusammen, um zu tanzen. Das fördert die Toleranz, weil Musik im Allgemeinen eine verbindende Wirkung entfaltet. Zudem bauen wir so auch gewisse Stereotypen ab, weil wir das arabische Kulturerbe in ein zeitgemässes musikalisches Kleid integrieren.»Der «Get Going!»-Beitrag sei dabei «die beste Form von Unterstützung, die man bekommen kann», betont er. «Wenn man Künstlerinnen und Künstlern die finanzielle Freiheit ermöglicht, wird immer ein Resultat entstehen.» Auch, dass mit dem Förderbeitrag kein konkretes Ergebnis verbunden ist, erachtet er als Motivation: «Es existiert kein äusserer Zwang. Ich muss also nicht. Also stellt sich die Frage: Will ich das?». Mit «Get Going!» – unterstreicht er zum Schluss – werde ihm als Künstler das Vertrauen geschenkt. Das sei etwas ganz und gar Aussergewöhnliches. «Dieser Aspekt allein ist für mich persönlich Pflicht genug, um etwas Gutes zu realisieren.»

Rudolf Amstutz

www.tootard.com


Seit 2018 existiert «Get Going!» als Förderangebot der FONDATION SUISA. Mit dieser neuen Form eines Werkbeitrages werden kreative und künstlerische Prozesse finanziell angestossen, die sich ausserhalb der gängigen Kategorien befinden. Im monatlichen Rhythmus stellen wir die acht Empfängerinnen und Empfänger der «Get Going!»-Vergabe 2022 einzeln vor.

Simone Felber – Tanzen und singen fürs Leben – mit und gegen den Tod

«Get Going!»-Porträtserie 2022

Simone Felber by © Christian Felber

Die Sängerin Simone Felber arbeitet in zahlreichen Projekten daran, die Schweizer Volksmusik gegenwartstauglich zu machen. Und mit dem ihr zugesprochenen «Get Going!»-Beitrag will sie nun auch den Totentanz zu neuem Leben erwecken.

Sie ist spät zur Volksmusik gekommen. Eigentlich erst während ihres Studiums an der Hochschule Musik – Luzern. Dort traf Simone Felber auf den Schwyzerörgeler Adrian Würsch und den Bassisten Pirmin Huber, mit denen sie heute das Trio «Simone Felbers iheimisch» bildet. Zuvor war sie mehrheitlich in der klassischen Musik tätig, vor allem ihr Mitwirken im Chor molto cantabile, der sich der zeitgenössischen Musik widmet, hat sie geprägt. Als Städterin, die die Natur liebt, entdeckte die Luzernerin in der Volksmusik etwas, das ihr ganz persönlich entgegenkam: «Wir streben in der Musik stets nach Perfektion. Doch während es in der Klassik um die perfekte Vorstellung von Klang geht, eröffnet der Jazz und die Volksmusik einem die Gelegenheit, seinen ganz eigenen Klang zu finden.»

Dieser eigene Klang manifestiert sich neben dem Trio «Simone Felbers heimisch» auch in zahlreichen anderen Projekten, so etwa im Frauen-Quartett «famm» oder als Chorleiterin des Chores «Echo vom Eierstock». Es geht der ausgebildeten Mezzosopranistin also nicht bloss darum, im nonverbalen Gesang und im Jodel einen ganz und gar zeitgemässen Ausdruck zu finden, sondern als 30-Jährige auch eine Haltung auszudrücken, die ihrer Generation entspricht. Die Schweiz von heute ist multikulturell, urban und sie steht vor gesellschaftlichen, sozialen, politischen Problemen, während sich gleichzeitig die Natur aufbäumt und die Orte des volkstümlichen Ursprungs klimatisch herausfordert. Felber will mit ihrer Musik ein Spiegel sein zu alldem, während sie die Volksmusik verdächtigt, sich zu oft dem Alltag zu entziehen. «Volksmusik erinnert mich bisweilen an eine Hochglanzbroschüre», sagt sie und fügt an: «Ich dagegen bevorzuge Recycling-Papier.»

Gemeinsam mit dem Jazzpianisten Lukas Gernet hat sie sich zu ihrem jüngsten Projekt «hedi drescht» zusammengefunden. Dort gehen sie gemeinsam der Frage nach «Was ist Heimat?» und vertonen ihre Bilder mit einem stilistischen Kaleidoskop zwischen Klassik, Jodel und Jazz. Auf der Bühne wird die Liedersammlung «äinigermasse dehäi» zu einer interdisziplinären audiovisuellen Performance in Zusammenarbeit mit dem Theaterkollektiv Fetter Vetter & Oma Hommage, dem Videokünstler Jules Claude Gisler und dem Theatermacher Stephan Q. Eberhard.

Für ihr «Get Going!»-Projekt geht Felber nun noch einen Schritt weiter und befasst sich mit dem Tod, der in jüngster Vergangenheit durch den Verlust nahestehender Menschen ganz nah an sie herangetreten ist. Dabei fasziniert sie besonders der Akt des Totentanzes. Doch wer tanzt diesen Tanz? In der Volksmusik existiert das «Tänzli»: Tanzen da die Lebenden, ohne einen Gedanken an den Tod zu verlieren oder um das Leben vor dem Tod zu feiern? Oder ist es der Tod, der tanzt, wie auf den barocken Motiven, die in Felbers Heimatstadt Luzern auf der Spreuerbrücke zu bewundern sind? Oder gar der Todgeweihte, der tanzend seine Reise in eine andere Welt begeht? Felber beschäftigt sich seit längerer Zeit mit diesen Fragen. «In vielen Kulturen ist das Leben und der Tod ein zirkulärer Vorgang, während wir unsere Existenz als lineares Ereignis betrachten», erklärt sie. «Ich möchte, dass das lähmende Gefühl, das uns angesichts des Todes überfällt, in einer Bewegung mündet, die uns wieder herausführen kann.» 

Wie dies am Ende aussehen wird, weiss sie im Detail noch nicht. «Ich stelle mir aber eher eine klangvisuelle Installation vor, die es erlaubt, dass die Menschen in einem intimen Rahmen sich ganz individuell mit dem Thema konfrontieren lassen können.» Der «Get Going!»-Beitrag – unterstreicht sie – gebe ihr die Freiheit und die Sicherheit dieses Projekt nun ohne Stress und ohne allzu grosse Kompromisse Realität werden zu lassen.

Rudolf Amstutz

Aktuelles Album: hedi drescht – «äinigermasse dehäi»
www.simonefelber.ch


Seit 2018 existiert «Get Going!» als Förderangebot der FONDATION SUISA. Mit dieser neuen Form eines Werkbeitrages werden kreative und künstlerische Prozesse finanziell angestossen, die sich ausserhalb der gängigen Kategorien befinden. Im monatlichen Rhythmus stellen wir die acht Empfängerinnen und Empfänger der «Get Going!»-Vergabe 2022 einzeln vor.