Mario Batkovic: auf unerforschtem Gelände unterweg

«Get Going!»-Portraitserie 2022

Mario Batkovic ⎪ Foto ⓒRob Lewis


Mario Batkovic ist Klangforscher, Klangjongleur, Erfinder, Komponist und Multiinstrumentalist. Das Fahnden nach noch nicht aufgespürten Tönen braucht Zeit – viel Zeit. Nicht nur, aber auch deshalb unterstützt ihn die FONDATION SUISA mit einem «Get Going!»-Beitrag.

«Eigentlich» sagt Mario Batkovic, «ist das Akkordeon kein Instrument für die grosse Bühne. Aber mit dem da», er lächelt und zeigt auf einen selbstgebauten Verstärker, «klappt das sehr wohl.» Unter dem Strahlen seines Schöpfers erzittert sein Refugium im PROGR in Bern und beim Hörer stellt sich Gänsehaut ein. Aber das ist längst nicht alles, was sein Atelier zu bieten hat. Neben einer Ecke für Studioaufnahmen ist so ziemlich alles zu finden, was Klänge generieren kann. Ob ein präpariertes Klavier oder eine elektrische Zahnbürste, mit der man auf den Cymbals des Schlagzeugs Töne erklingen lassen kann. Batkovic erzählt begeistert von seinen Instrumenten, an denen er unentwegt bastelt, um damit Töne zu empfangen. «Die Töne», sagt er, «seien alle schon da. Wenn man sie mit Liebe behandelt, dann kommen sie zu dir.» Musik, so der Berner weiter, könne man nicht neu erfinden. «Aber ich kann mit dem, was existiert, versuchen, neue Dinge zu erschaffen.» Batkovic bezeichnet sich als professioneller Fantast. «Ich versuche, was in meinem Kopf existiert, in die Realität umzusetzen.»

Geboren ist er in Bosnien, bis dann die Wirren im Balkan die Familie in die Schweiz führte. Damals war Batkovic elf Jahre alt. Schon in seiner alten Heimat hatte er unentwegt Töne im Kopf. Hörbar wurden sie damals durch ein Akkordeon. «Abseits der Konsumgesellschaft war das Akkordeon Jukebox, DJ, Alleinunterhalter.» Deshalb ist er dem Akkordeon bis heute treu geblieben. «Falsch», erwidert er, «das Akkordeon ist mir treu geblieben.»

Sein Verhältnis zu den Tönen, zu den Instrumenten verdeutlicht, mit welcher Demut Batkovic Musik begegnet. Der Anspruch zur Ehrlichkeit gegenüber seinen Klängen ist so gross, dass alles Neue erlitten werden muss. «Es heisst ja nicht umsonst Leidenschaft», sagt er und lächelt.

Studiert hat er an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover und an der Musik Akademie Basel. Aber ob an diesen renommierten Universitäten oder in der Berner Szene, Batkovic fühlte und fühlt sich oft als Aussenseiter. Dies, weil er mit seiner Musik in keine Schublade passt. Batkovic kann Punk, er kann Poesie, er kann Ambient, Noise, Metal oder Sakral. Nichts von dem trifft auf ihn zu, oder aber in seiner Haltung gegenüber Musik alles gleichzeitig. Im Mai 2024 wird er neue Stücke gemeinsam mit dem Berner Symphonieorchester aufführen. In internationalen Medien wie dem «Rolling Stone» wird er seiner Vielfalt wegen als grosser Avantgardist gefeiert. Er komponiert Filmmusik, veröffentlicht Soloalben auf einem unabhängigen britischen Label, schreibt Musik für Orchester, für Videogames oder für Bands wie Stiller Has. Doch letztlich ist es egal, wann, wo und wie und für was die Musik entsteht. Sie ist Teil eines grossen Ganzen. Das Resultat eines professionellen Fantasten, eines Besessenen. Von einem, der das Unerhörte hörbar macht und der von sich sagt: «Ich versuche mich nicht durch Musik zu finden, sondern ich versuche, mich nicht in ihr zu verlieren.» 

«Aber», ergänzt Batkovic, «die Leute vergessen oft, dass jedes neue Projekt mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden ist.» Zeit ist für einen Forscher wie ihn, der sich am liebsten auf noch nicht kartographiertem Gelände bewegt, das wichtigste Gut. Dass ihm nun unabhängig voneinander gleich zwei Beiträge zugesprochen wurden, freut ihn besonders: Zuerst der «Get Going!»-Beitrag der FONDATION SUISA, anschliessend der Schweizer Musikpreis.

Ein Mann mit Akkordeon inmitten des technologisierten 21. Jahrhunderts – vielleicht ist dies in der Tat ein Anachronismus, für den in Zeiten wie diesen nicht einfach ein fester Platz in der Gegenwartskunst reserviert ist: «Es kann sein, dass es immer wieder Menschen gab und gibt, die mit dem richtigen Instrument am richtigen Ort zur richtigen Zeit waren. Das war bei mir nicht der Fall. Ich musste mir meine Welt zuerst erschaffen.» Umso grösser, meint Batkovic, sei seine Demut gegenüber dem Beitrag der FONDATION SUISA und dem Schweizer Musikpreis.» 

Zudem schwärmt er lieber von anderen, als über sich selbst zu sprechen. So lässt er es sich nicht nehmen, am Ende des Gesprächs von seinem grössten Helden, dem «Anarchisten» Ludwig van Beethoven und seinen revolutionären Klaviersonaten zu schwärmen: «Ein ganzes Leben reicht nicht aus, um vollends in diese 32 meisterhaften Kunstwerke einzutauchen.»

Rudolf Amstutz


batkovic.com

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MARIO BATKOVIC

10.01.2024


Seit 2018 existiert «Get Going!» als Förderangebot der FONDATION SUISA. Mit dieser neuen Form eines Werkbeitrages werden kreative und künstlerische Prozesse finanziell angestossen, die sich ausserhalb der gängigen Kategorien befinden. Im monatlichen Rhythmus stellen wir die acht Empfängerinnen und Empfänger der «Get Going!»-Vergabe 2022 einzeln vor.